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20.01.2022

Woran krankt Führung in Sozialunternehmen?

Fünf kritische Dimensionen und einige Lösungsvarianten

Viele Sozialunternehmen sind auch im Gesundheitswesen aktiv. Sie sind Träger von Krankenhäusern, stellen den Rettungsdienst, bieten ambulante Pflege an und vieles mehr. Ich habe ca. 12 Jahre in einem entsprechenden Sozialunternehmen gearbeitet, allerdings nicht im Gesundheitswesen, sondern im Kitabereich in führender Position. Die Führungskräfte an die ich berichtet habe, waren die gleichen, die auch die Angebote im Gesundheitsbereich verantworten. Während dieser Zeit und auch ansonsten habe ich mich viel mit verschiedenen Kolleginnen und Kollegen zum Thema Führung ausgetauscht. Daher schreibe ich hier woran es aus meiner Sicht in Sozialunternehmen an Führung krankt und welche Lösungsansätze helfen können, um wieder zu mehr Mit- als Gegeneinander kommen zu können. Ich stütze mich dabei auf Definitionsaussagen der Europäischen Kommission zu Sozialunternehmen, um anhand von diesen Fehlverläufe und stichwortartig Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Es versteht sich sicher von selbst, dass nicht alle Aussagen auf alle zutreffen. Viel Spaß beim Lesen.

Was ist ein Sozialunternehmen?

Interessant ist einmal zu schauen was der Normalbürger/ die Normalbürgerin unter Sozialunternehmen versteht und wie die Definition auf übergeordneter Ebene lautet. Unter „Sozialunternehmen“ versteht beispielsweise die Europäische Kommission „Unternehmen, für die das soziale oder gesellschaftliche gemeinnützige Ziel Sinn und Zweck ihrer Geschäftstätigkeit darstellt, was sich oft in einem hohen Maße an sozialer Innovation äußert, deren Gewinne größtenteils wieder investiert werden, um dieses soziale Ziel zu erreichen und deren Organisationsstruktur oder Eigentumsverhältnisse dieses Ziel widerspiegeln, da sie auf Prinzipien der Mitbestimmung oder Mitarbeiter-beteiligung basieren oder auf soziale Gerechtigkeit ausgerichtet sind.“ (1)

Folgt man den Kernaussagen dieser Definition, ist es interessant zu beleuchten wie in deutschen Sozialunternehmen Themen wie Werte, Diversität, Durchlässigkeit, Partizipation und Innnovation von den Führungskräften gelebt, sprich: umgesetzt werden.

Werte von Sozialunternehmen und das tägliche Handeln – Konflikte vorprogrammiert

Fraglos leiten die großen Sozialunternehmen Deutschlands – nehmen wir nur die, die den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege und deren Unter-ordnungen angehören - hehre soziale und gesellschaftliche, gemeinnützige Ziele. Alle haben Leitbilder und „Claims“ erarbeitet, die (christliche) Werte in den Fokus stellen.(2) Werte, die hohe Erwartungen wecken.

Diese Werte sind es an denen insbesondere die Führungskräfte auch in ihrem täglichen Handeln aus Sicht der Mitarbeitenden und Kundinnen und Kunden gemessen werden. Wie in allen Unternehmen, gibt es jedoch auch in Sozial-unternehmen Führungskräfte, die diesen Ansprüchen nicht gerecht werden. Im Industrieunternehmen, das auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist -und das weiß auch jede/r, die/der dort anheuert - ist dies leichter hinzunehmen als in Sozialunternehmen. Hier diskreditieren jene Führungskräfte ihr Unternehmen -da es ein soziales ist - besonders, wenn sie den angekündigten hohen Qualitäts-standard nicht leben, ihre Emotionen nicht im Griff haben oder aber andere Führungsschwächen mitbringen. Jedes Anti-Beispiel das Kollegen und Kolleginnen untereinander über die Fehlverhalten ihrer Chefs austauschen und das am jeweiligen Leitbild gemessen wird, erschüttert das Vertrauen in grundlegende Werte der Mitarbeitenden. Denn Mitarbeitende steigen nicht selten in den Sozialbereich ein, weil sie genau diese Werte in ihrem Berufsalltag leben wollen. Werte, die sich nicht im täglichen Handeln insbesondere der Führungs-kräfte zeigen, wirken hohl, wirken verlogen. Wer seine Werte im Unternehmen nicht verwirklich sieht oder gar ein Missverhältnis zwischen nach außen benannten und nach innen gelebten Werten zu erkennen scheint, dessen Loyalität und Engagement schwindet. Es ist der Anfang von der inneren Kündigung.

Eine Möglichkeit für Mitarbeitende wäre Missstände im Rahmen eines strukturierten Beschwerdemanagements oder aber über die Mitarbeitenden-vertretungen vorzubringen. Häufig fehlt es jedoch an professionellen Standards hierzu. Beschwerden werden nicht sachlich als Chance zur Verbesserung gesehen, sondern erhalten zu leicht das Etikett der Nestbeschmutzung. Mitarbeitendenvertretung erhalten zu wenige, gute Schulungen und -selbst bei Organisationen, die sich dem dritten Weg verpflichtet sehen- keine Anerkennung als ebenbürtiger Partner, sondern den des lästigen Gegenübers. (3)

Diversität im Management? Eher nicht
Schaut man in einige der Leitbilder wird viel von Gerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion geschrieben. Wie sieht es jedoch damit in den oberen Management-Ebenen aus? Es gibt, ganz klar, Verbände, die die Vielfalt leben. Die Mehrheit jedoch hat noch nicht einmal einen angemessenen Frauenanteil in ihren Führungsriegen. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass der weit überwiegende Teil der sozialen Arbeit von Frauen getätigt wird, frage ich mich wo bleiben 50% dieser Perspektive, wenn sie nicht konsequent in den Führungsebenen gelebt wird?

Durchlässigkeit bis in die Führungsebene? Falsch verstanden bzw. Fehlanzeige
Wer Spaß an Hierarchien hat, ist in Sozialunternehmen gut aufgehoben. Grundsätzlich freuen wir uns, wenn wir von Durchlässigkeit z.B. im Schulsystem sprechen. Viele Wege führen nach Rom usw. In manchen Sozialunternehmen ist genau dies jedoch ein großes Problem. Vom Zivi mit mittlerem Bildungsabschluss zum Vorstand, zum Teil ohne abgeschlossene Berufsausbildung, ist eine Karriere, die es in Sozialunternehmen gibt. Fraglos muss eine Berufsausbildung oder gar ein Studium keine Garantie sein als Führungskraft geeignet zu sein. Aber dies schließt sich an das Thema Durchlässigkeit letztlich an. Es wird nicht unbedingt derjenige (weniger diejenige) zur Führungskraft, der vielfältige Führungs-qualifikationen mitbringt sondern derjenige, der schon lange da ist. Z.B. mit der Begründung „der weiß wie der Hase bei uns läuft. Den brauchen wir nicht lange einzuarbeiten“. Dies führt zu einer quasi „inzestuösen Führungsriege“, die sich untereinander schützt und wenig Impulse bringt. Denn von wo soll die Innovationskraft, der Mut oder sollen gar moderne Führungserkenntnisse und -handlungen denn kommen? Mitarbeitende können sich hier wahlweise an Schein-Argumenten abarbeiten wie „dafür haben wir kein Geld“, „dafür ist Verband/ Abteilung xy zuständig“, „das kriegen wir nie durch“ oder aber selbsttätig in ihrem Engagement bis über ihre Grenzen darin versuchen etwas durchzubringen und ohne entsprechende Führungsunterstützung frustriert oder gar Burnout-gefährdet verzweifeln.
Wer bereits lange im Unternehmen ist, sich vielleicht sogar als Ehrenamtlicher verdient gemacht hat, der in ein Netzwerk verwoben ist, hat gute Chancen hochgelobt zu werden. So hoch, dass ein Wegloben nicht unwahrscheinlich ist, wenn es dann doch nicht so gut funktioniert. Denn Geld für teure Abfindungszahlungen sind in Sozialunternehmen nicht mitfinanziert. Wie also den Kollegen anders loswerden?
Hier werden grundlegende Prinzipien guter Personalführung und -entwicklung leider selten und noch seltener ausreichend gelebt: 1. eine Passung von Qualifikation und Aufgabe unter Berücksichtigung der Verantwortung, 2. Adäquate Weiterbildung, 3. Angemessenes Personalcontrolling und 4. ein passendes Beschwerdemanagement (s.o.).

Partizipation? Nach außen hin schon!
Beteiligung von Kindern am Bildungsprozess, Einbezug der Ehrenamtlichen in die (bezahlten) Dienstleistungen sind ein schönes und wichtiges Thema in Sozialunternehmen und werden gerne inhaltlich gefördert – sehr gerne auch mit Fördermitteln. Doch wie sieht es mit dem Thema Beteiligung in internen Entscheidungs- gar in Changeprozessen aus? Steile These meinerseits: sehr, sehr dünn. Strategieentwicklung in Unternehmen mit mehreren zigtausend Mitarbeitenden sind extrem langwierig, da sie über Jahre verfolgt werden müssen, und damit sehr mühsam. Wenn sie denn auch noch nachhaltig umgesetzt werden sollen, sind sie nicht ohne externe Hilfe oder enormem personellem internen Aufwand leistbar. Die Mittel hierfür stellt jedoch keine Kommune, kein Spender, kein Kunde zur Verfügung. Zudem sind Prozesse dieser Art von den wenigsten Führungskräften bisher professionell erlebt worden (da sie noch in keinem anderen Unternehmen gearbeitet haben, s.o.). Seine „hands-on“-Mentalität und das Engagement der Mitarbeitenden für abstrakte Strategie-entwicklungen kann man da sehr leicht überschätzen.

Innovation – Manches ist erkennbar
Sicher kann man sagen, dass es weder Unternehmensführung noch ein Großteil der Mitarbeitenden in Sozialunternehmen als eine ihrer Kernaufgaben sehen Innovationen zu entwickeln. Ebensowenig die Geldgeber wie z.B. Land, Kommune oder Stiftung. Folgt man der EU-Definition (s.o.) ist hier durchaus ein Missverhältnis erkennbar.
Im wirtschaftlichen Sinne ist eine Innovation ein Produkt, eine Dienstleistung o.ä., wenn dadurch Leistungskraft, Effizienz und Wettbewerbsstärke verbessert werden. Denkt man an die üblicherweise eher knappen finanziellen Ressourcen in Sozialunternehmen, sollten Führungskräfte sich eigentlich gezwungen sehen stets in jeglicher Hinsicht innovativ unterwegs zu sein, um damit die knappen Mittel besser zum Einsatz bringen könnten. Dies geschieht, jedoch vorwiegend im Zusammenhang mit dem Einsatz knapper Personal- oder Sachressourcen.
Effizienz kann jedoch in manchen Bereichen nur durch Investitionen erreicht werden z.B. in strategische Prozessveränderungen oder die digitale Ausstattung. Nehmen wir den Kitabereich, in dem ich mich auskenne: eine gute WLAN-Verbindung, ein Laptop pro Kitagruppe, ein Belegungs- und Abrechnungstool mit den richtigen Schnittstellen – davon träumen Kitaträger und -leitungen. Denn wer soll es finanzieren? Es gibt Bundesländer, da sind Kitaträger ausreichend finanziert, und es ist möglich solcherlei Anschaffungen inkl. Schulungen und technischem Support sicherzustellen. Aber längst nicht in allen. Wenn dazu noch berücksichtigt wird, dass der Personalschlüssel in Kitas stets so knapp bemessen ist, dass selbst gebuchte Fortbildungen kurzfristig abgesagt werden müssen, um den gesetzlich vorgeschriebenen Fachkraftschlüssel einzuhalten, wird deutlich, dass das System an einigen Stellen krankt. 
Digitale Medien zu nutzen, ist zudem im Sozialbereich nicht selbstverständlich. Menschen, die mit und für Menschen arbeiten wollen, sind eher selten an moderner Bürokommunikation interessiert und haben den Umgang damit nur rudimentär gelernt.  Warum auch? Sie wollen und sollen für „ihre“ Kinder, Senioren, Kranke o.ä. da sein und nicht Listen führen, Dokumentieren, Drucken, scannen usw. Entsprechend ist der Aufwand groß passgenaue Produkte zu entwickeln, auszuwählen und zu implementieren. Ein Aufwand, der nur dann erfolgen kann, wenn er entsprechen finanziert ist.
Letztlich entstehen „Innovationen“ daher nur dort, wo aus „wenig“ versucht wird „mehr“ rauszuholen. Da die Hauptressource in Sozialunternehmen der Mensch ist, ist erkennbar wozu das führt. Echte strukturelle oder gar technische Innovationen erfordern ein strategisches Vorgehen, das zu selten von Führungskräften in Sozialunternehmen geleistet wird und- aufgrund der zu knappen (Re-)Finanzierung- auch geleistet werden kann.

Mögliche Schlussfolgerungen
Folgende erste Lösungsansätze zu den Themenbereichen Werteorientiertes Führen, Diversität, Durchlässigkeit, Partizipation und Innovation fallen mir -neben einem professionell durchgeführten und engagiert gelebten Qualitätsmanagement- ein:

• Überprüfen der Auswahlverfahren für Führungskräfte im Hinblick auf Einbezug nicht nur fachlicher, sondern auch persönlicher Eignung
• Regelmäßige, nachhaltige und begleitete Reflexion für Führungskräfte
• regelmäßige Vorgesetztenbeurteilungen
• Einführung eines regelmäßigen Skip-Level-Interviews
• Etablierung eines strukturierten Beschwerdemanagements, das auch heikle Beschwerden wie die über einen Vorgesetzten erlaubt und Mitarbeitende in der Entwicklung (des Beschwerdemanagements) mit einbezieht
• standardisierte Austrittsgespräche, deren Ergebnisse ggf. auch weiter geleitet werden müssen
• Partizipative Festlegung und Umsetzung des Ziels Diversität. Regelmäßige Evaluation der Ergebnisse ggf. mit Hilfe von Kennzahlen
• Konsequente Umsetzung eines kooperativen Führungsstils
• Einführung einer verbindlichen Frauenquote für Führungspositionen
• Entwicklung geltender Aussagen zu Partizipationsgrad, -reichweite und -frequenz, die kontinuierlich überprüft und angepasst werden
• Einführung eines Innovationsmanagements
• Einsatz für wirtschaftliche Mittel, die Innovationen fördern.

Wichtig ist mir anzumerken, dass Vieles in Sozialunternehmen auch dann besser laufen könnte, wenn Geldgeber sich vor Vertragsentscheidung für die geltenden Bedingungen interessieren, entsprechende professionelle Standards fordern und auch die dafür erforderlichen Mittel bereit stellen. Solange weit überwiegend stets der günstigste Anbieter ausgewählt wird, nur Sach- und zu selten Personalkosten finanziert werden und davon ausgegangen wird, dass Sozialunternehmen Anpassungen und Innovationen aus diesen Mitteln selber stemmen, bleiben Standardverbesserungen in den Händen der Führungskräfte. Und damit beißt sich die Katze dann in den eigenen Schwanz.

Dieses Artikels, ist im Rahmen der von Constanze Zeller ins Leben gerufenen Blogparade „Kulturwandel im Gesundheitswesen“ entstanden. Siehe dazu: https://www.zukunftsherz.de/kulturwandel-im-gesundheitswesen-die-aktuellen-beitraege-der-blogparade/.

Quellen/ Anmerkungen:
(1) https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2011/DE/1-2011-682-DE-F1-1.Pdf, abgerufen am 19.09.20, 20:08 Uhr
(2) Beispiele, s. Leitbild Johanniter,    https://www.johanniter.de/die-johanniter/johanniter-unfall-hilfe/ueber-uns/leitbild/, abgerufen am 19.09.20 um 20:54
s. Leitbild DRK: https://www.drk.de/das-drk/auftrag-ziele-aufgaben-und-selbstverstaendnis-des-drk/leitlinien/ , abgerufen am 19.09.20, 20:54 Uhr
s. Grundsätze Paritätischer Wohlfahrtsverband:  https://www.der-paritaetische.de/verband/ueber-uns/grundsaetze/, abgerufen am 19.09.2020, 20:57 Uhr
s. Leitbild Diakonie: https://www.diakonie.de/fileadmin/user_upload/Diakonie/PDFs/Ueber_Uns_PDF/Leitbild.pdf, abgerufen am 19.09.2020, 21: 00 Uhr
s. Leitbild Caritas: https://www.caritas.de/glossare/leitbild-des-deutschen-caritasverbandes, abgerufen am 19.09.2020, 21:01 Uhr
s. Leitbild AWO: https://www.awo.org/sites/default/files/2020-03/Grundsatzprogramm%20der%20AWO_2019_Kurzfassung_0.pdf, abgerufen am 19.09.2020, 21:05 Uhr
s. Leitbild Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V.: https://zwst.org/de/zwst-ueber-uns/leitbild-zedaka/

(3) Sicher hängt dies auch stets von den handelnden Personen ab.
(4) Selbstverständlich gibt es auch Bereiche wo der Umgang mit technischer Ausstattung inzwischen zum Berufsalltag gehört und auch Teil der Ausbildung ist.

Admin - 17:39 @ Führung | Kommentar hinzufügen

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